Ellen Ashoff-Kranz

Viele lebensentscheidende Dinge werden aus dem Gefühl heraus getroffen

Es ist der Wunsch zu gestalten. Den Schmelzpunkt zu finden, wo die schöpferische Kraft des Feuers das Stoffliche fließen lässt und neue Verbindungen entstehen. Das vollzieht sich bei 1060 Grad. Und das romantische Bild des Schöpfungsaktes wird von den realen Ausmaßen eines profanen Keramikofens und unterschiedlicher Schmelzpunkte vorgegeben. Es sei denn, weibliche Phantasie findet neue Lösun­gen. Dann sind auch meterhohe Skulpturen möglich, die Grenzfragen beiseite schieben. Erdfarbener Ton und bunte Glasuren gehen eine Verbindung ein und bleiben trotzdem getrennt.

Ellen Ashoff-Kranz: Bei diesen Frauenfiguren habe ich lange nachgedacht. Ich wollte zwei für die Keramik entscheidende Dinge in Einklang bringen: die farbige Glasur und daneben den schön belassenen Ton. Mit Glasuren muss man sehr vorsichtig sein, weil diese wie Zuckerguss auf Körper oder Gesichter wirken. Um dem zuvor zu kommen, habe ich eine ganz besondere Technik entwickelt, die die Farbigkeit der Glasur erhält, so dass die unterschiedlichen Farben nicht bei 1060 Grad schmelzen und ineinander laufen.

Die hohen, schmalen Frauenfiguren mit den überlangen Armen, den nackten Köpfen und Brüsten, erinnern an den Prozessionsreigen der Frauen auf minoi­schen Fresken und Vasen: Stolz schreitende Frauen mit nackten Brüsten und fließenden Gewändern auf ockerfarbenem Grund. Eine Wölbung der Farbglasur in Kniehöhe, kaum wahrnehmbare Ausbuchtungen und Vertiefungen an Hüfte und Schoß, die Beine in Schrittstellung vermuten lassen, geben den Frauenfiguren von Ellen Ashoff-Kranz eine archaische Anmutung. Besonders, wenn sie in der Reihung aufgestellt sind. Die Unterschiede und Individualität dieser Frauenskulpturen enthüllen sich erst beim genauen Hinsehen.

Frauenbrüste sind für mich ein Symbol der Emotion. Viele lebensentscheidende Dinge werden aus dem Gefühl heraus getroffen, dabei ist der Kopf nicht so wichtig. Der Schwerpunkt der Entscheidung verlagert sich in den Körper. Hier sitzt das Gefühl, das Emotionale, aus dem heraus Frauen oft handeln. Die Prallheit der jungen Frau findet sich in ihren Brüsten wieder, so wie älteren Frauen schwere, hängende Brüste zueigen sind. Für mich symbolisieren Brüste die Summe von Erfahrungen. Das Empfinden wird durch Erfahrungen gesteuert und alles, was im Leben wichtig ist, geschieht aus der Emotion heraus.

Wellen aus Samt und Seide

In das Stoffliche, das sich vielfarbig in Kaskaden über die Verkaufstheke ergießt, hatte sich Ellen Ashoff-Kranz schon als kleines Mädchen verliebt. Diese Wellen aus Samt und Seide wollte sie berühren und gestalten. Aus diesem Verlangen heraus entwickelte sich ihr Berufswunsch: Textilingenieurin.

Gegen den Willen der allein erziehenden Mutter, die als Kriegerwitwe sich und die Tochter mit einem kleinen Lebensmittelladen in Essen durchbringen musste, hielt Ellen an ihrem Plan fest und trieb ihn voran. Ein kühnes Unterfangen für ein Mädchen im Ruhrgebiet in der Adenauerzeit, sich auf eigene Faust den schöpferischen Umgang mit Materialien erobern zu wollen. Wider den Zeitgeist, denn die auf strikte Trennung der Geschlechter ausgerichtete Familienpolitik sah Mädchen in Männerberufen nicht vor. Schon gar nicht im kreativen Bereich. Das romantische Künstlerbild des Schöpfers war auf den Mann zugeschnitten und schloss Künstlerin­nen weitgehend aus.

Obwohl sie ein Praktikum in der Textilindustrie realisierte, gab Ellen den langgelegten Berufswunsch schließlich auf. Die Ursache dafür war die aufkommende Krise in der Textilindu­strie und die rasant verschwindenden Arbeitsplätze. Radikal pragmatisch, wie es der Mentalität der Menschen im Ruhrgebiet in Krisenzeiten entspricht, entschied sie sich für einen Brotberuf: Betriebswirtschaftsstudium in Bochum. Umstandslos klappte der Berufseinstieg in die Marktforschungsabteilung der Karstadt AG in Essen. An strategischer Position entschied sie mit, an welchen Plätzen und Innenstädten ein Warenhaus entstehen sollte. Ihre Standortanalysen gaben Entscheidungshilfen und Ellen Ashoff-Kranz war mit ihrem Job rundum zufrieden.

Die Begegnung mit Irnfried, der in Würzburg Lehramt studierte und sich für ein Referendariat in München entschied, gab ihrem Leben den Dreh, der seit unzähligen Generationen Frauen auf die Spur bringt. Familie, Heim und Kinder.

Zuvor nutzte Ellen Ashoff-Kranz das, was sie gelernt hatte. Die persönliche bayerische Standortsanalyse verwies auf den künftigen Wohnort Regensburg. Dort stieg sie noch einmal in den Hochschulbetrieb ein, zog sechs Semester für das Lehramt an Grundschulen durch, machte ihr erstes Staatsexamen und wurde Mutter. Im neuen Reihenhaus am Stadtrand wuchs eine Großfamilie zusammen. In ihrem tabellarischen Lebenslauf heißt es lakonisch für die Jahre 1973 bis 1980: Eins-zwei-drei-vier Kinder; Gunhild, Bertold, Wolfram, Ottfried.

 

Da war doch was

1985, als das jüngste ihrer vier Kinder fünf Jahre alt ist, die Rückkehr in den alten Beruf per se ausscheidet, knüpft Ellen an ihre alten Träume an. Hoch auf dem Hügel im stadtnahen Lappersdorf, da wo die typische kinderfreundliche Siedlung an Weizen- und Kartoffelfelder stößt, baut ihr Mann statt einer Garage für das Familienauto eine Keramikwerkstatt für seine Frau. Und mit dem Elan der spätberufenen Autodidaktin widmet sie sich ihrem neuen Metier.

Ich wollte etwas für mich machen, was über den Haushalt und die Familie hinausging. Ich belegte einen Kursus für keramisches Gestalten und probierte vieles aus. Dann merkte ich schnell, dass ich eine qualifizierte Ausbildung brauchte, wenn ich mich ernsthaft weiter damit beschäftigen wollte. Am Anfang stand Gebrauchskeramik wie Schalen in unterschiedlichen Formen und Größen, aber in einer dieser großen Schalen lag dann ein Kopf, der über diese Schale hinausragte.

Ellen Ashoff-Kranz belegt Kurse bei der Art Didacta in Innsbruck, versucht sich in großformatigen Figuren und Aktmodellieren. Sie experimentiert und entdeckt dabei, dass die Grenzen zwischen Kunstgewerbe und Kunst häufig fließend sind.

In Deutschland wird meist strikt getrennt. Kunstgewerbe steht für Gebrauchsgegenstände, schöne Gebrauchsgegenstände, aber diese gelten nicht als Kunst. Sie werden als beliebig angesehen. In Amerika hat das Kunstgewerbliche nicht diesen Ruf der Beliebigkeit, es wird nicht so krass interpretiert: hier die Kunst, dort das Kunstgewer­be.

In Lehrgängen und Kursen eignet sie sich in den 90-er Jahren das Rüstzeug an, das junge Künstler in den Akademien lernen. Sie erkennt, wo ihre Stärken liegen, setzt sich mit unterschiedlichen Materialien auseinander und erarbeitet sich ihr Thema:

Figürliches Gestalten. Den künstlerischen Durchbruch zu ihrem Schwerpunktthema das sie bis heute beschäftigt, erschließt sich ihr durch Professor Dieter Chrumbiegel von der Fachhochschule für Gestaltung in Krefeld. Der Kurs in der Abgeschiedenheit der Eifel, den sie als den wichtigsten für ihre künftigen Arbeiten ansieht, bringt ihr Gewissheit.

Von da an habe ich mich in meinen Arbeiten nur mit Menschen beschäf­tigt. Körper, Köpfe, Fragmente.

Als sich im Herbst 1987 der Neue Kunstverein Regensburg gründet, stößt Ellen Ashoff­Kranz schnell dazu. Sie übernimmt das Amt der 2. Vorsitzenden und bringt sich mit ihrem Organisationstalent ein.

Meine Motivation am Anfang war ganz praktischer Art. Da ich nicht Kunst studiert habe, wollte ich zunächst einmal herausfinden, wie sind die Abläufe, wie läuft das mit Ausstellungen, welche Möglichkeiten gibt es, um selbst auszustellen.

1992, sieben Jahren nach der Einrichtung ihrer eigenen Werkstatt, präsentiert sie im Rahmen einer Gemeinschaftsausstellung von zehn Künstlern des Neuen Kunst­vereins eigene Arbeiten im Stadtmuseum Amberg. Jahr um Jahr beteiligte sie sich seitdem mit ihren Skulpturen an Gemeinschaftsausstellungen in Museen in Regens­burg und der Oberpfalz, in öffentlichen Kunsträumen und privaten Galerien.

Wie sich ihre figurative Keramik in den zwanzig Jahren ihres Schaffens entwickelte, die Köpfe und Figuren an Ausdruckskraft gewannen und unverwechselbar wurden, ist in ihrem eingewachsenen Garten und der Werkstatt, die nicht zur Garage wurde, zu bestaunen. Ellen Ashoff-Kranz ist bei ihrer Gratwanderung zwischen Kunstgewerbe und Kunst Vielfarbiges gelungen.

Text: Waltraud Bierwirth | Fotografie: Rose Heuberger

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